Samstag, 20. November 2021

Bulgarien: 10 Spiele und noch vielmehr Programm II

Spiele: Botev Plovdiv - Etar Veliko Tarnovo, Lokomotiv Plovdiv - Arda Kardzhali, Yantra Gabrovo - Cherno More

Der Montag war großer Wandertag, dazu klingelte uns der Wecker weit vor den ersten Sonnenstrahlen wach. Über Plovdiv ging es nach Kalofer, am Rande des Nationalparks „Zentralbalkan“. Vom Parkplatz an führte uns der Weg direkt über einen ordentlichen Anstieg, der nach einigen Minuten überwunden war. Vorerst war der Weg angenehm. Immer mal kleinere Anstiege aber auch etliche Meter über flaches Terrain. Als wir den ersten Wald verließen, konnten wir weit ins Land schauen und wurden von einigen Pferden begrüßt. Die Tiere waren die einzigen, die wir zu Gesicht bekamen. Wölfe und Bären blieben uns glücklicherweise erspart. Nicht einmal eine einzige Menschenseele kreuzte, in über sechs Stunden, unseren Weg. Dieser führte uns bald wieder in einen Wald, allerlei Bäche und kleine Wasserfälle begleiteten uns. Auf den letzten Stück wurde es nochmal ungemütlich. Anstrengende und üble Steigungen, schlechter Untergrund und dutzende Pferde verlangten uns einiges ab, ehe wir die Höhe erreichten, in denen die Vegetation merklich zurückging und wir die Aussicht genießen konnten. Unser eigentliches Ziel, ein Wasserfall, lag noch rund 30min entfernt. Vor diesen sollte laut unserer Recherchen eine Berghütte liegen. Lag sie auch. Die Saison schien jedoch vorbei. Alles verbarrikadiert. Am Ende konnten uns die Putzkräfte mit zwei Dosenbier wenigstens ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern und wir gingen auch den letzten Teil der Strecke an, der es nochmal in sich hatte. Stolz, durchgeschwitzt und glücklich schauten wir den Berg hinab, ehe wir uns wieder auf den Rückweg und in Richtung Plovdiv machten. Am dritten Tag hieß es endlich „Happy Grill“. Hurra! Nicht nur auf der Speisekarte, auch bei der Wahl der Unterkunft trafen wir ins Schwarze. Bevor sich unsere Beine im Bett ausruhen durften, rief noch das abendliche Spiel: 

Botev Plovdiv - Etar Veliko Tarnovo
19.10., A Futbolna Grupa, Fußballkomplex Botev 1912 

Mit dem Taxi fuhren wir Richtung Südwesten, noch vor den Stadttoren der Kulturhauptstadt 2019, nach Komatevo. Die eigentliche Heimspielstätte, kaum einen Steinwurf vom Lokalrivalen Lokomotiv entfernt, befindet sich nun seit fast 10 Jahren im Umbau, was so viel heißt wie dauerhafter Stillstand. Das Geld war da und ist nun woanders. Einige Tribünen standen und stehen bereits, irgendwann rollte kein Bagger mehr. Botev spielt nun schon seit Jahren im Trainingskomplex, welcher immerhin 3.000 Plätze bietet. Keine Frage, die Plätze reichen bei einer Vielzahl der Spiele aus. Kommt es jedoch zu dem Aufeinandertreffen mit Lok oder den großen aus Sofia, kommen die Traversen (auch im kleinen Gästeblock) schnell an ihre Grenzen. Das schmälert das ohnehin schon geringe Interesse und erschwert es selbstredend neue Leute zu gewinnen. 
Wir hatten unsere Tickets bereits im Vorfeld gesichert und verfolgten das Geschehen vorm Stadion. Es war überschaubar. Klar, das Stadion lag an der ersten Kreuzung eines Vorortes von Plovdiv und die meisten Besucher kamen erst wenige Minuten vor dem Anpfiff mit ihren Autos direkt vor das Stadion gefahren. Für die hiesige Szene ist diese Interimslösung sicher alles andere als angenehm. Weit weg von der Stadt und dessen Leben mit all seinen Vorzügen wie Kneipen, Kioske, Biergärten oder möglichen Räumlichkeiten. Als wenn das alles nicht reichen würde, war eine Rückkehr mit dem Bus in die Stadt ausgeschlossen. Der letzte Bus fuhr wenige Minuten vor Spielschluss. Die Spielplanzerstückelung in Bulgarien darf ohnehin als grenzwertig bewertet werden. Freitag bis Montag wird angepfiffen. Spiele zur identischen Zeit? Nope! Klingt für die Spezies Fussball-Touristen super, für die bulgarischen Allesfahrer, Fans und Ultras hingegen als ganz fieser Zonk. Sieht nämlich wie folgt aus: Freitag 400km zum 12.30 Uhr-Kick, Sonntag einmal quer durch Land um 12 Uhr den Anpfiff zu erleben oder Montag 22 Uhr Abpfiff und 5h Landstraße. Hinzu kommt, dass die Anstoßzeiten stark variieren, Stichwort Flutlichter. Wenn du mit deiner Gruppe dann doch mal einen Bus voll bekommst, darfst du nicht einmal alle Plätze verkaufen. Denn nicht nur der Fernsender XYZ will dich lieber im Sessel vor der Glotze sehen, der Staat hat sich ebenfalls ein paar Repressionen einfallen lassen, um den Stadionbesuch möglichst unattraktiv erscheinen zu lassen. Dazu gehört auch, dass mindestens ein Bulle im Bus sitzen muss, sonst besteht die Gefahr, dass die Reise mit entdecken des Busses beendet wird. Wenn wir uns jetzt noch an die eingangs erwähnte Schieberei im bulgarischen Fußball erinnern, kannst du vor jedem aktiven Fußballfan in dem Land nur den Hut ziehen. Eigentlich müsste vor jedem Haufen der bekannte Slogan „Nur für das Trikot“ hängen. 
Total vom Thema abgekommen. Es gab allerdings auch nicht viel zu berichten. Botev hatte ich noch nie live gesehen. Ich ging mit großer Vorfreude in das Spiel und freute mich auf deren Block. „Bultras“, ist wohl jedem der mal nach Bulgarien geschielt hat ein Begriff. Ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten das, im Gegensatz zu den anderen Vereinen, weiß jeder sofort weiß wie „die“ Gruppe von Betov heißt. Natürlich haben auch andere Vereine ihre namhaften Gruppen. Bei CSKA kommt wohl kaum jemand an die Animals oder die ehemaligen Ofanziva vorbei, bei Levksi werden Sofia West, South Division oder Ultra Varna vielen ein Begriff sein. Jedoch steht am Ende der Sector G, bzw. B/A über den Gruppen und deren Prestige. Loko hat z.B. mit der Lauta Army noch so eine Gruppe die weit über den Balkan hinaus bekannt ist. Aber alles ist eben nichts im Vergleich zu Bultras = Botev. Natürlich hat die Kurve noch andere Gruppen hervorgebracht, da wären die Urban Crew oder Ludata Banda, die allesamt hinter der „Bultras“-Fahne stehen. Nicht nur der Name, auch viele Bilder schwirren mir da durch den Kopf. Der geile Block im alten, wie auch im neuen Stadion. Die Choreos, bei welchen immer die schwarz-gelben Vereinsfarben hervorstechen. Nicht zuletzt die ausufernden Pyroaktionen, bei denen gefühlt jeder aus der Masse etwas anreißt. So etwas erwartete ich heute freilich nicht, die Erwartungen waren dennoch hoch. 
Und wie es so ist, ist gerade dann die Enttäuschung nicht weit...! Kaum mehr als 30, vielleicht 40 Leute fanden sich im Käfig ein. Nach einigen Minuten immerhin ein Gesang. Der Chor klang selbst mit viel Wohlwollen mehr nach lästiger Pflicht, als das auch nur in einer Stimme ein Hauch von Leidenschaft steckte. Nach 20 Minuten und zwei weiteren Versuchen hatte der Vorsänger genug und beendete das Schauspiel. Den Rest des Spiels wurde stumm Fußball geschaut. Aus 90 Minuten lässt sich natürlich kein Resümee über eine ganze Szene fällen und so muss ich Botev wohl oder übel beim nächsten Besuch noch eine Chance geben. Ich hoffe, dann unter einen besseren Stern. Hier und heute hatten somit die acht Gäste die Stimmungshoheit und konnten sich am Ende noch über einen späten Punktgewinn freuen. 



Das spannendste an dem Spiel war im Nachhinein der ungeklärte Heimweg. Bus weg, kein Taxi weit und breit und auf unseren Daumen wollte auch kein Autofahrer reagieren. Immerhin kam bald eine Tankstelle und versüßte uns mit einem Wegebier die Meter durch das karge Gewerbezentrum. Unseren nächsten potenziellen Fahrer schüchterten wir zu sehr ein, der wollte in unserer Gegenwart gar nicht mehr aus der Bank kommen. Auf halber Strecke erbarmte sich dann endlich mal ein Taxi und brachte uns für kaum mehr als 2€ zurück ins Zentrum (bei Botev gab/gibt es übrigens die „Centrum Crew“). Nach einigen Metern fanden wir uns in der Kneipe unter unserem Zimmer wieder, stritten uns, vertrugen uns und schnarchten bald eine Etage höher im Takt. 
Das Rila-Kloster liegt südlich von Plovdiv. Deren Geschichte ging bald 1.000 Jahre zurück und lag ähnlich viele Meter hoch. Der Parkplatz befand sich praktischerweise vor dem Eingangstor. Das Kloster zieht jährlich tausende Touristen und Pilger aus dem In- und Ausland an. Diesen Herbst erinnerten nur die unzähligen Verkaufsbuden und der große (verlassene) Parkplatz an die Anziehungskraft des Klosters. Nach einer kurzen Stippvisite fanden wir uns in einem der Lokale wieder, in welchen wir schnell mit der Bedienung ins Gespräch kamen. Sie bestätigte uns sogleich, was nicht zu übersehen war. Selbst dieser Ort hatte mit fernbleibenden Touristen und sie um ihren Arbeitsplatz zu kämpfen. Wir fuhren weiter in Richtung Süden. Die Straße führte uns entlang des Tschaja, bis wir sie in einer kaum wahrzunehmenden T-Kreuzung verließen. Die Piste führte uns hinauf in die Berge. Am Ende auf 1.500m. Unser Ziel war eine Felsformation, die einer Brücke gleichkam. Ungeahnt frei konnten wir uns dort bewegen. Dieser Einladung kamen wir selbstredend nach. Nach rund 2h hatten wir jeden Winkel ausgekundschaftet und waren nirgends heruntergefallen. Einen Powernap später hatte sich das Bild in der Autoscheibe von Natur auf Stadt geändert – wir waren zurück in Plovdiv. Um die utopischen Parkplatzgebühren zu sparen, stellten wir unser Auto in einem Viertel unweit der Innenstadt ab und spazierten zum Fußball. 

Lokomotiv Plovdiv - Arda Kardzhali 
20.10., A Futbolna Grupa, Stadion Lokomotiv

Leichte Sympathien für den Verein lassen sich nicht leugnen und rühren nicht nur vom Namen. Viel mehr hat mir Loko bei den bisherigen Auftritten gefallen. Zum einen ist da das meist melodische Liedgut. Ohne Frage hat das Mutterland der Ultras einen großen Einfluss. Nicht nur auf die Lieder sondern auch auf die ganze Atmosphäre am Stadion. Viele Ultras trinken noch ein Bier oder Kaffee zusammen an den beiden Kiosken vor der Kurve/Stahlrohrtribüne. Es wird sich viel geherzt und auch die Familie, der Rentner oder die jungen Mädels grüßen die meist in schwarz, aber gut gekleidete, Gruppe von Männern. Es scheint zudem aus der Ferne, als sei die Welt zwischen Ultras und Verein in Ordnung und respektvoll (immerhin befindet sich auf der Tribüne auch der Zugang zum Lauta Army Boxing Club). Kurz, es war einfach angenehm hier zu verweilen und dem Treiben beizuwohnen. 
Lok Plovdiv schenkte mehreren Kids mit Handicap heute einen besonderen Tag. Die Jungs und Mädels durften mit den Spielern einlaufen/einfahren. Die Augen wurden noch größer, als auf der Tribüne eine volle Tüte mit Präsenten auf sie warteten. Die Spieler hatten zum Anlass einheitliche Shirts an und vielen von ihnen hatten sichtlich Freude, ihren Mitmenschen eine Freude zu bereiten. Ob nun Marketing oder eine Sache von und mit Herz, eine jede Aktion in dieser Richtung ist ein Erfolg, wenn die betroffenen mit einem Lachen an den Tag zurückdenken. Ich hoffe und denke, dass dies heute der Fall war. 
Der Block hinterm Tor füllte sich erst als der Ball rollte. Anders als der Lokalrivale verfügt Lok über eine ganze Reihe an Gruppen. Da wären die „Lauta Army“ und „Gott mit uns“. Beim Aufhängen der Fahnen fiel auf, dass GMU zentral stand, während die Lauta Army etwas weiter zur Gegengerade (inkl. einiger weiterer Gruppen) stand und auch am anderen Ende der Tribüne sich noch ein Pulk samt drei Fahnen/Gruppen sammelte. Wirkte allerdings nur wie Spalterei. Die anfänglichen Abstände reduzierten sich im Laufe des Spiels, gesungen wurde ausnahmslos gemeinsam und spätere Recherche brachte ebenfalls keine anderslautenden Gerüchte oder gar Infos. Vielleicht interpretierte ich als Außenstehender einfach zu viel ins Bild am Zaun. Die Unterstützung begann mit locker 15 Minuten Verspätung, ehe der Block sich allmehlig warm gesungen hatte, dauerte es nochmal seine Zeit. Aber mit fortlaufender Spieldauer konnten sie sich ein weiteres Mal beweisen und zogen bis zur Halbzeit eine solide Show ab. Ausreißer nach oben waren – so ehrlich muss ich sein – leider keine zu hören. Zwar war immer Bewegung drin aber wirklich explodieren tat niemand. Zur Halbzeit wechselten wir die Seiten und ein Großteil der Ultras wohl in Richtung Kneipe. So dauerte es nach Wiederanpfiff wieder seine Zeit, bis sich die Leute einfanden und die ersten Melodien leise und langsam ausbreiteten. Hin und wieder beteiligten sich die Leute auf den anderen Tribünen. Allgemein blieb es jedoch weit unter dem Niveau der ersten Halbzeit und den zuletzt gesehenen Auftritten. 
Die 100km nach Plovdiv nahmen knapp 30 Leute auf sich und waren bis zum letzten Spiel auf der Tour die einzigen, die sich an einen Mindestabstand (Corona) hielten. Ansonsten fielen sie nicht weiter auf. Gleiches Schicksal wollte ein Kauz neben uns sich unter keinen Umständen nachsagen lasse. Mit einem „Sieg Heil“-Pullover (inkl. großem SS-Totenkopf) verfolgte er das Spiel. Eine ähnlich offene zur Schaustellung vom faschistischen Gedankengut hatte ich zuletzt beim Derby in Sofia gesehen, als ein Hooligan ein T-Shirt im Stil einer Hakenkreuz-Fahne spazieren trug. 




Wir hatten Zeit, nahmen noch ein Getränk auf die Hand und schlenderten zurück in die Innenstadt. Dort wartete die Speisekarte von Happy Grill auf unsere Aufmerksamkeit, ehe wir noch lange durch die leere Stadt liefen und uns so richtig schön einen reindrehten. 

Auf unserem Zettel stand heute „Denkmal-Tag“. Denkmäler/Mahnmale brutalistischen Ausmaßes gibt es in Bulgarien noch viele (ähnlich wie in Ex-Jugoslawien). Wer sich nur ein bisschen für diese Relikte interessiert, kommt an einem Besuch auf den Balkan nicht umher. Viele wurden während der politischen Wende zerstört oder gammeln seither vor sich hin und dennoch sind sie noch allgegenwärtig. Fährst du mit dem Auto durch ein paar Dörfer, wirst du schnell fündig. Ein Obelisk, ein Flugzeug oder eine Skulptur findet sich an jedem kleinen Marktplatz oder an der Einfahrt zur Ortschaft. Und was soll ich sagen, jeder kann seine politische Präferenz haben aber Denkmäler, die wirklich zum Denken anregten, dass konnten die Kommunisten wie niemand anderes. Unsere erste (Gedenk-)Stätte lag am Stadtrand von Stara Zagora (Heimat von Beroe). Dabei wird den Verteidigern aus der Schlacht (Teil des Russisch-Osmanischen Kriegs) um eben Stara Zagora gedacht. „Die Fahne von Samara“ wurde 1977 fertiggestellt und misst 50 Meter in die Höhe. Das Schlachtfeld verließen die russischen und bulgarischen Soldaten als Verlierer, die Fahne wurde jedoch nicht den Feind überlassen sondern konnte gerettet werden. Die Stadt und deren Anwohner hingegen nicht. Auf dem Gipfel des Chadschi Dimitar befand sich unser nächstes Ziel, das Basludscha-Denkmal. Zur Geschichte zum „Ufo“ habe ich im letzten Bericht einiges geschrieben. Was sich zum Besuch 2017 geändert hat: es wird nun (seit 2018) rund um die Uhr bewacht. Schlecht für uns. Noch schlechter für meinen Kumpel, der noch nicht hier und somit drin war. Wir kamen nicht hinein und konnten somit nicht das innen liegende Mosaik bewundern. Hier gab es wenigstens gute Neuigkeiten, das Mosaik soll restauriert werden. Schnee lag diesmal keiner Schnee und wir konnten den direkten Weg zum Schipka-Denkmal einschlagen, der uns noch an ein sehr imposantes Freiheitsdenkmal vorbei und später durch einen herbstlichen Wald führte. Die Schlacht am Schipkapass wurde ebenfalls im Zuge des Russisch-Osmanischen Kriegs geführt. Die Stellung konnte von den russisch und bulgarischen Soldaten zwei Mal verteidigt werden, ehe sie im Frühjahr 1878 zum Gegenangriff übergingen und jener verlustreicher Sieg noch heute als entschiedener zur Befreiung Bulgariens gefeiert wird. Genug der Geschichte und ab nach Gabrovo.
Bulgariens Städte haben eins gemeinsam, ein undurchsichtiges Parkplatzsystem für Auswärtige. Dazu gehört auch, dass der ausländische Besucher mit seinem Handy nicht über die allgegenwärtige Nummer seinen Parkplatz buchen kann. Über Sinn und Unsinn kann diskutiert werden, mit den jeweiligen Parkkrallen-Inhaber (in keiner Stadt Europas werden übrigen so viele Parkkrallen täglich verteilt wie in Sofia) hingegen nicht. Wir versuchten gar den Warnwesten-Typen zu fragen, wie wir bezahlen könnten... er suchte das Weite. Die Zeit war knapp und unser Hunger groß, wir liefen in die Stadt. Schöne Stadt! Der Zufall oder unsere fehlende Orientierung führte uns wieder am Parkplatz vorbei. Unser Westenmann war nicht da, wohl aber die Jungs mit den teuren Krallen. Sie legten gerade bei einem Auto neben uns Hand an, waren uns gegenüber aber hilfsbereit. Ohne Kralle aber gestärkt verließen wir die hübsche Innenstadt und fuhren zum Pokalspiel: 

Yantra Gabrovo - Cherno More 
21.10., bulgarischer Pokal, Stadion Hristo Botev 

Der Pokal bot uns heute verschiedene Möglichkeiten. Als ich den o.g. Spielort auf meinem Bildschirm erblickte, war schnell klar, wohin uns der Weg führen sollte. Das Stadion wurde 1919 eröffnet und behielt bis heute seine ursprüngliche Form. Um das halbe Spielfeld finden aktuell noch 14.000 Zuschauer Platz. Die komplette Gerade hatte zwei Ränge. Der Obere von beiden läuft zur Eckfahne aus, der Untere jeweils hinterm Tor. Leider konnte ich bei einer kurzen Recherche nicht herausfinden, wie viele Menschen früher Platz gefunden hatten, bzw. welche Besucherzahl die höchste in der über 100-jährigen Geschichte war. Der heimische Verein wird in nächster Zeit das Stadion wohl nicht füllen. Aktuell kickt Gabrovo in der zweiten Liga. 
Abgesehen vom Stadion erwarteten wir bei einer Anstoßzeit von 15 Uhr nichts, wurden aber wieder eines Besseren belehrt. Aus Varna nahmen rund 50 Leute die 270km auf und tummelten sich hinter neun Zaunfahnen in ihrem Block. Mit dabei der „Chaika Hool´s“-Lappen im Stil der Flagge des Königreichs Englands. Sie sollten uns in der folgenden Zeit nicht nur optisch unterhalten. Die einfachen Schlachtrufe samt Einklatschen wurden von allen getragen und sorgten somit für etwas Atmosphäre im großen Oval, bei kaum mehr als 300 Zuschauern. Überraschenderweise ging der Gastgeber fix mit 1-0 in Führung. Freude und Spott bei den Einheimischen, beantwortete der Gästeblock mit Abneigung ihrerseits. Nach der 23. Minuten war das Ergebnis egalisiert und fortan bestimmte Cherno More das Spiel nach Belieben (6-1 am Ende). Mit dem Halbzeitpfiff wurde es etwas hektisch und der komplette Anhang aus dem Gästeblock bewegte sich, nach anhaltenden Pöbelorgien, auf den Trennzaun zu. Eine Ansammlung von Gabrovo-Fans war übrigens nicht auszumachen, zwar hingen zwei Fahnen aber die Zuschauer verteilten sich über die komplette Tribüne. Nichtsdestotrotz, die Gäste waren auf 180. Der erste Zaun sollte durch ein offenes Tor kein Hindernis sein. Am zweiten waren bereits die ersten Ultras und Hools zugegen, als die sportlichen Ordner einschritten und für Ruhe sorgen konnten. Am Ende wieder ein unterhaltsames und kurzweiliges Spiel... so darf es weitergehen. 



Der abendliche Ablauf in Plovdiv ähnelte denen der letzten. Studentenkneipe, bei Happy Grill durch die Karte arbeiten, Studentenkneipe und den Kiosk vorm Weg ins Bett noch einen Besuch abstatten. Die angewachsene Glassammlung im Zimmer attestierte uns am nächsten Morgen kleptomanische Züge...
Bevor wir Plovdiv endgültig verließen, spazierten wir noch durch und auf die Stadt der sieben Hügel. Gerade die Altstadt mit ihren Häusern war bei dem abermals sonnigen Wetter schön zu durchstreifen. Bis zum Mittag hatten wir vier Hügel erklommen und waren kreuz und quer durch die Stadt geirrt. Mit dem Auto fuhren wir in einen der Außenbezirke. Dort hatte ich gestern markante Hochhäuser gesehen, diese und die umstehenden Platten galt es für uns Plattenbaufans natürlich zu inspizieren. Pah... dagegen wirkt die heimische Betonsiedlung wie ein Dorf. 
Und noch einmal muss ich auf einen alten Besuch, diesmal den ersten in Bulgarien, zurückblicken. Damals lernte ich im Linienbus vom Flughafen in die Stadt einen Alleinreisenden kennen. Fix waren die Nummern ausgetauscht und sowohl beim Fußball als auch abends in der Kneipe sahen wir uns wieder. So später der Abend wurde, so interessanter und vertrauter wurden die Themen. Zur später Stunde gelangten wir bei den Sinti und Roma in Bulgarien an. Für mich damals gar nicht so von Bedeutung. Klar, gäbe es viele und die Vorurteile seien weitaus verankerter als bei uns. Wir nahmen sie während unserer Tage jedoch kaum wahr. Er klärte uns ein wenig über das Leben der Roma und ihrer nicht vorhandenen Akzeptanz in der Gesellschaft (Bevölkerung und Politik) auf. Als wir aus unserem Urlaub wiederkamen, fütterte ich Google mit einigen Schlagwörtern. Was auf den Bildschirm zu sehen und lesen war erschütterte mich nachträglich und ließ mich bis heute nicht mehr los. Spendenbereitschaft und Interesse aus der Ferne ist das eine, die Ausgrenzung anzufassen und mit einer kleinen Geste wenigstens kurz für etwas Freude bei den Menschen zu sorgen eine andere. Die Rückbank voll Basket- und Fußbällen fuhren wir Stolpinowo an, dem größten Roma-Viertel auf dem Balkan (ca. 55.000). Zu diesem Viertel schrieb ich schon einige Zeilen in einem vergangenen Bericht. Wer sich für das Leid der Menschen interessiert, googelt einfach mal das Viertel, welches in der EU liegt. Übrigens wurden kleinere Ghettos/Dörfer erst wenige Tage vor unserer Ankunft mittels Flugzeuge überflogen, die flächendeckend Desinfektionsmittel zur Eindämmung der Pandemie versprühten. Abgesehen von einigen kleinen Organisationen blieb ein Aufschrei im Land aus, die Roma haben bis heute keine Stimme und werden weiterhin aktiv vom Staat ausgegrenzt.