Spiele: CSKA Sofia - Beroe Stara Zagora, Botev Vratsa - CSKA 1948, Slawija Sofia – Levski Sofia
Im April 2013 besuchte ich mit meiner jetzigen Frau zum ersten Mal Bulgarien. Waren es damals nur ein paar Tage in Sofia, ein kurzer Ausflug ins Vitosha-Gebirge sowie ein kurzer Abstecher mit dem Zug nach Plovdiv, katapultierte sich das Land dennoch schnell an die Spitze meines geistigen Klassements. Hierher würde ich wiederkommen – so viel war klar. Damit meinte ich nicht (nur) wegen dem rollenden Leder, wie es z.B. in Polen, Tschechien oder auch teilweise in Italien der Fall war. So kam es auch und es folgten in unregelmäßigen Abständen gleich drei Wiedersehen. Mal stand der Fußball im Fokus, mal weniger. Mein letztes Stelldichein lag mittlerweile drei Jahre zurück und Bulgarien qualifizierte sich für die Tage somit ganz von alleine. Das Ziel war klar, den geeigneten Zeitpunkt legte der NOFV mit der bestmöglichen aller Terminierungen fest und so standen mir am Ende nicht weniger als acht volle Tage zwischen den jeweiligen Spielen des Clubs zur Verfügung. Kein geringerer als die Lufthansa hatte am Ende das beste Angebot, um möglichst wenig Zeit in Deutschland zu vergeuden. Zur Überraschung signalisierte noch ein Freund reges Interesse und buchte ebenfalls Lok – Bulgarien - Lok.
CSKA Sofia - Beroe Stara Zagora
17.10., A Futbolna Grupa, Stadion Bâlgarska Armija
Endlich, beim fünften Besuch in Bulgarien gelang es mir meinen Aufenthalt mit einem (echten) Heimspiel von CSKA (Derby findet im Nationalstadion statt) zu verbinden. Diese Bude wollte, musste ich schon immer besuchen und so fand ich mich bereits zweimal – abseits eines Spiels – auf den dortigen Traversen wieder. Warum? Keine Ahnung. Das alte Oval fesselte mich schon vor Jahren im Internet und versprach nicht zu viel. Dabei ist es nicht einmal besonders markant, wie zum Beispiel viele Stadien in Italien oder besticht durch seine besondere Lage. Und dennoch, das Stadion hat gelebt und erzählt wahrscheinlich viele Geschichten, die ich nur zu gerne kennen oder hören würde.
Den vollen Rängen von einst waren längst verwiesene Tribünen gewichen. Das lag und liegt allen voran an unzählig geschobenen Spielen im Land. Irgendwann hatten große Teile der bezahlenden Besucher genug und blieben den Spielen fern. Manche Begegnungen fanden in den vergangenen Jahren vor wenigen hundert Zuschauern statt. Ausnahmen waren seit Jahren nur die Derbys in Sofia und Plovdiv, entscheidende Spiele in der Meisterschaft, wenige regionale Derbys und natürlich die Internationalen Auftritte, die jedes Jahr aufs Neue die Stadien füllten. Heute werden es selbst beim großen CSKA kaum mehr als 1.500 Zuschauer gewesen sein.
Im Fanblock, Sector G/Сектор Г, drängten sich über 400 Zuschauer. Die Animals und Offenders befestigten ihre Fahnen vor dem Block. Im Block hing zentral die „Sektor G“-Fahne, links und rechts von dieser weitere Gruppenfahnen der Kurve. Also ein geordnetes und buntes Chaos. Im Block sorgten zwei Schwenkfahnen und der markante, weil mit etlichen Runen geschmückte, Doppelhalter der „Legion“ für etwas Stoff in der Nordkurve. Für weitere optische Untermalungen sorgte eine eine Choreografie („Wir sind rot“, den zweiten Teil konnte ich leider nicht entziffern) mittels Papptafeln, nach wenigen Spielminuten. Die Pappen ergaben ein enges Bild und waren in der großen Stehplatzkurve akkurat angeordnet. Finde ich ja immer wieder geil. Also nicht nur die Pappen an sich, sondern gerade deren Einsatz in einer Stehplatzkurve – ganz ohne helfende Sitze. Die Stimmung war erwartet gut. Der Block zog fast komplett durch und wechselte zwischen Gesängen und einigen Liedern. Letztere wurden leider nur selten ausdauernd vorgetragen, dafür laut. Die vielen rhythmischen Klatscheinlagen waren selbstredend ein Selbstläufer. Klar, kaum etwas anderes bringe ich mit den Kurven hier so in Verbindung, wie Handparaden.
Auf die „Zara Boys“ und den „Ultras Boreoe“ warteten wir vergebens. Deren Auftritt im Gästeblock blieb uns leider verwehrt. Zwar sammelte sich ein Dutzend, jedoch ohne Fahne und/oder irgendwelchen Ambitionen ihre Mannschaft zu unterstützen. Es blieb im Gästeblock beim Fußball gucken. Der wurde sogar ansehnlich gespielt und endete mit einem fairen 1-1.
Botev Vratsa - CSKA 1948
18.10., A Futbolna Grupa, Stadion Hristo Botev
Bevor es zum kurzweiligen Spiel geht, folgt ein Miniexkurs in die Geschichte des Gastvereins. Dieser sieht sich mit seiner (überschaubaren) Fanschar nämlich als Nachfolgeverein von CSKA Sofia. Nachfolgeverein? Die spielten doch gestern noch. Richtig, der Name ist gegenwärtig und spielte nach einer kurzen Abstinenz (Lizenzinzug 2015, Abstieg in die 3. Liga) wieder im Oberhaus. Dabei handelte es sich jedoch eigentlich um den Verein Litex Lovech, der seit Sommer 2016 eben jenen Namen ablegte und nach Sofia umgesiedelt wurde. Damit nicht genug, wurde mit dem Spielrecht des Vereins Chavdar Etropole gespielt und der aktuelle Pokalsieger Bulgariens (zu diesen Zeitpunkt 3. Liga) kurzerhand ausgelöscht. Für einen Teil des Anhangs zu viel. Sie sahen in diesem Konstrukt von Machenschaften und Schiebereien nicht mehr ihren Verein und gründeten diesen unter dem Namen CSKA 1948 neu. Das ganze Gestrick und auch die Rolle des Sectors G ist dabei (für mich) schwierig korrekt wiederzugeben. Das „Erlebnis Fußball“ versuchte es in einer älteren Ausgabe (bevor KEF mit den Animals anbandelte). Ich will den Text jetzt aber nicht (wieder) blind kopieren und eine eigene Recherche ist mir gerade zu mühselig, somit belasse ich es dabei.
Zurück in die Gegenwart, welche sich sofort dem gelungenen Tag anpasste und uns positiv überraschte. Als erstes wäre da das Stadion, am Fuße des Balkangebirges und mit bestem Blick auf selbiges. Vervollständigt wird das Bild durch einige Hochhäuser, die zwischen Stadion und den felsigen Bergen ein Wohngebiet andeuten. Mir fielen nur wenige Stadien ein, die über ein solch abwechslungsreiches Panorama verfügten. Das Stadion selbst ist ein weitläufiges, flaches Oval mit kleiner Tribüne. Einige Ecken wurden überholt. Andere, wie die verwiesene Kurve, hinter der sich die Platten türmen, wittern vor sich hin. Ein schönes Teil, welches wohl vor langer, langer Zeit – wenn überhaupt einmal – an seine Kapazitäten stieß. Schwer zu schätzende 700, vielleicht auch 1.000, waren es heute, die sich das Spiel anschauen wollten.
Die zweite positive Überraschung war der Heimblock. Dachte ich beim Gastgeber in Bezug auf seinen Fans (von einer Kurve ganz zu schweigen) maximal an die wirklich unansehnliche „Ботев Враца“-Fahne in grün-weißen fließenden Streifenmuster, überraschten mich beim Betreten der ersten Stufen Gesänge und Trommelrhythmen. Der prüfende Blick offenbarte mir keine durchdrehende Kurve, jedoch mehr als ich erwartete. Etwa 30 Leute waren es letztendlich, die immer wieder einige Gesänge von sich gaben. Beim zweiten Blick auf den Mob fiel der hohe Altersunterschied auf. Wenige, dafür richtig alte, Ultras (Brigade Vratza) sammelten den Nachwuchs um sich und führten wahrscheinlich ihren ganz eigenen Kampf, die Szene hier nicht total aufzugeben und am Leben zu halten. Es sah zumindest danach aus, als würden sich aus der kleinen Stadt (ca. 55.000 Einwohner) doch noch ein paar Jugendliche für den erfolglosen Verein (größter Erfolg: Platz 3 in der 1. Liga, 1971) interessieren und kleine Kurve nicht komplett der Nachwuchs fehlen.
Ein ganz anderes Bild im Gästeblock. Keiner der knapp 20 Männer wird weniger als 40 Jahre auf den Buckel gehabt haben. Deren Auftritt vermag ich gar nicht in irgendeine Kategorie stecken – positiv wie negativ. Der Haufen, den ich allein aufgrund der Geschichte um die Neugründung blind als homogene Einheit eingeordnet hatte, kam alles andere als gleich daher. Ein Teil befestigte die Fahnen/Spruchbänder vor dem Spiel, andere torkelten erst Minuten nach Anpfiff die Treppen hinauf. Während einige im Takt hüpften, beteten manche die Sonne an. Als im Nachbarblock ein Trikot präsentiert wurde, rannte der Erste wild gestikulierend zum Zaun und sein Nachbar haderte noch mit der Entscheidung über die Ecke. Einzig als ein Spruchband Feuer fing schienen sich alle ihrer rebellischen Vergangenheit einig und hauten gemeinsam einen Schlachtruf in Richtung Spielfeld.
Slawija Sofia – Levski Sofia
18.10., A Futbolna Grupa, Stadion Slawija
Trotz kleiner Staus erreichten wir das Stadion bei Zeiten, konnten das Auto abparken und hätten gar die Tanke noch um einige Getränke oder Snacks erleichtern können, wenn der Autor nicht jedes Mal auf´s neue hektisch vorm Stadion werden würde. So also auch bei Slawija, die selten mehr als 200 Zuschauer auf ihrer Tribüne begrüßen dürfen. Ich wollte dennoch erst mal Tickets in der Tasche haben. Dort hielten jedoch die „Boys Sofia“ (Ultras Slawija) ihrerseits die Augen nach verirrten Gästen offen. An Fremden waren sie weniger interessiert und ließen nach ein paar gegenseitigen Wortfetzen wieder von uns ab. Eine Wiederholung der Situation wollten wir trotzdem vermeiden, alleine schon aus dem nötigen Anstand. Also ging es mit viel Zeit bis zum Anpfiff und ebenso hungrig und durstig in das Stadion, wo es doch außer Wasser und Chips nichts gab.
Wenigstens der Einlauf des Sector B/Сектор Б (Levski), mit rund 120 Leuten auf der Gegengerade, sorgte für kurzweilige Unterhaltung. Neben der Geraden gab es einen weiteren Gästeblock in der Kurve. Dieser wurde von den Leuten aus dem Sector A/Сектор A gefüllt. Beide Kurven, besser Blöcke (Sector B steht im heimischen Stadion in der Kurve, Sector A hingegen auf der Tribüne in direkter Nähe zum Gästeblock), trennten sich bereits im Jahr 2016/2017. Der Bruch ging durch mehrere Gruppen. Der Sector A/Ultras Levski (u.a. South Division, Blue Hunta) warf und wirft der Führung des Sector B vor, sich vom Verein kaufen zulassen. Im Jahr 2016 eskalierte die Situation, als sich die „South Division“ öffentlich gegen den Eigentümer von Levski aussprach. Seither ist das Tischtuch zerschnitten. Während UL recht isoliert ihr Dasein auf der Tribüne fristete, konnte sich Sector B weiterhin auf die Unterstützung der unorganisierten Fans verlassen. Wer da nun im Recht oder Unrecht ist, wissen nach den Jahren vielleicht nicht einmal mehr die Beteiligten. Der Konflikt flammte erst im letzten Auswärtsspiel (Botev Plovdiv) wieder auf. Bulgarische Fußballfans konnten die Prügelei live im Fernsehen verfolgen.
Während auf der Gegengerade bereits die ersten Lieder intoniert wurden, musste der Sector A (ca. 80) – im Rücken der gleichfarbigen Feinde – warten. Keine Ahnung, was sich die Cops dabei dachten. Erst nach einigen Minuten ließen sie den Haufen gewähren und in den separaten Block spazieren. Fix waren dort die Leute in einem anständigen Rechteck aufgestellt, die Fahnen auf die Teleskopstangen aufgezogen und der erste Gesang vom Vorsänger angestimmt. Es folgte weder vom Sector B noch vom A eine durchgängige Unterstützung. Einige wenige Lieder wurden gemeinsam vorgetragen, im gro kochte jedoch jeder sein eigenes Süpp´chen und riss heute keine Bäume aus. Die Gegengerade hatte im zweiten Durchgang, besonders zum Ende, ihre starke Phase. Dabei profitierten sie vor allem vom gemäßigten Fanvolk, dass sich ebenfalls in deren Block befand und somit auf Grund des spannenden Spielverlaufs mitgezogen werden konnte. Die UL hingegen waren nur mit viel Leerlauf zugegen. Schade, da hatte ich allein aufgrund ihres gelungenen optischen Auftrittes mehr erwartet. Im zweiten Durchgang trumpfte der Block mit einer kleine Pyroshow auf, ehe wieder die hübsche Zaunfahne vor dem Block gespannt wurde.
Der Gastgeber proklamierte das Spiel als ältestes Derby Sofias, konnte aber kaum mehr als 300 Zuschauer auf der Heimtribüne (einzig geöffneter Bereich) begrüßen. Mit gegenseitiger Abneigung wurde trotz überschaubaren Interesses hüben wie drüben nicht gespart. Gerade der Anhang von Levski warf bereits vor dem Spiel mit reichlich Beleidigungen um sich. Dasselbe wiederholte sich mit der abzeichnenden Niederlage, welche dazu allerlei Sitzschalen kostete. Der kompakte 50er Haufen („Boys Sofia“) am untersten Ende der Tribüne nahm die Pöbeleien gerne auf und zurück. Vor sieben Jahren war ich beim Halbfinale gegen Beroe bereits vor Ort, damals hatte der Block einen ähnlichen Umfang und so vermute ich, dass viel mehr bei der Nummer vier (nach CSKA, Levski und Loko) der Stadt nicht drin ist. Umso mehr bewundere ich den Ehrgeiz der Leute, die sich Woche für Woche wieder hinstellen und eben nicht blind einen der beiden Großen folgen. Das allein verdient mehr Respekt als die X-Pyroshow beim nächsten großen Derby. Slawija sah ich heute nun bereits das fünfte Mal und was soll ich sagen, die Jungs und Mädels lieferten ab! Aufgrund der mangelnden Platzauswahl konnten wir sie zwar nicht optimal in Augen- und Ohrenschein nehmen, aber im Gegensatz zum großen Gegenüber waren sie dauerhaft am rudern, singen, hüpfen und fackelt zudem ständig rum. Sympathisch! Einziger Wermutstropfen war sicherlich das Spruchband vom Sector B im Zuge ihrer Choreo. Aber auch davon ließen sie sich nicht beirren und hielten den Doppelhalter (emotionaler Griff zum Emblem auf dem Trikot) noch stolz nach oben, da war der letzte Blinker schon lange erloschen. Beim 1-0 wurde noch einmal tief in die Pyrokiste gegriffen.
Nachdem Spiel folgten auf der Seite des Siegers große Feierlichkeiten mit den Spielern. Den Gästen war weniger nach feiern zu Mute. Sie reisten schnell ab, ließen einen arg in Mitleidenschaft gezogenen Sitzplatzbereich und uns, durch Pyro und Detonationen hinterm Gästeblock, mit reichlich Spekulationen zurück.